Dezentrale Kapazitätsmärkte verpflichten Stromversorger und Großverbraucher, ihren Bedarf an gesicherter Leistung eigenständig zu decken. Sie fördern Wettbewerb und technologische Vielfalt, stellen aber hohe Anforderungen an Koordination, Markttransparenz und Überwachung.
Beschreibung#
Dezentrale Kapazitätsmechanismen beruhen auf der Verpflichtung einzelner Marktakteure – insbesondere Stromversorger, große Verbraucher oder Netzbetreiber –, Kapazitätsnachweise in Höhe ihres prognostizierten Verbrauchs zu beschaffen. Anders als bei zentral organisierten Kapazitätsmärkten wird hier keine zentrale Beschaffung durch eine öffentliche Stelle durchgeführt. Stattdessen obliegt es den Verpflichteten selbst, den benötigten Umfang über bilaterale Verträge oder standardisierte Auktionsformate zu decken.
In der Regel erhalten Anbieter von gesicherter Leistung – etwa Kraftwerksbetreiber oder Anbieter von Demand Response – nach erfolgreicher Zertifizierung Kapazitätsnachweise. Diese Zertifikate können dann im Markt gehandelt werden. Die Verteilung erfolgt also marktbasiert, wobei das Angebot über Auktionen oder Over-the-Counter (OTC)-Handel organisiert sein kann. Die tatsächliche Verpflichtung der Abnehmer richtet sich meist nach ihrem erwarteten Beitrag zur Spitzenlast im System.
Ein zentrales Merkmal dezentraler Kapazitätsmärkte ist die individuelle Verantwortung der Lieferpflichtigen: Wer seinen Bedarf nicht deckt, muss mit Ausgleichszahlungen oder Strafen rechnen. Gleichzeitig wird dadurch der Wettbewerb gestärkt, da verschiedene Technologien flexibel am Mechanismus teilnehmen können – darunter auch Nachfragesteuerung. Voraussetzung ist jedoch ein funktionierender Zertifizierungs- und Überwachungsprozess durch den Übertragungsnetzbetreiber oder eine vergleichbare Institution.
Dezentrale Kapazitätsmärkte sind besonders in liberalisierten Märkten verbreitet, in denen der Staat eine direkte Steuerung vermeiden möchte. Aufgrund des höheren Koordinationsaufwands ist ihr Einsatz jedoch auf Systeme mit gut entwickelter Marktinfrastruktur und zuverlässiger Datenbasis beschränkt.
Dezentrale Kapazitätsmärkte sind in Ländern mit vertikal integrierten und weniger wettbewerbsintensiven Elektrizitätsmärkten üblich, wie zum Beispiel in Chile, Brasilien und Peru. Weiterentwickelte Elektrizitätsmärkte, die ein dezentrales Kapazitätsmarktsystem nutzen, umfassen den kalifornischen Systembetreiber CAISO, bei dem Stromversorger verpflichtet sind, eine bestimmte Menge an Kapazität in Relation zu ihrem erwarteten Verbrauch zu kontrahieren. In Europa verwendet derzeit nur Frankreich einen dezentralen Kapazitätsmarkt, plant jedoch, auf einen zentralisierten Kapazitätsmarkt umzusteigen, da dieser weniger Bürokratie und höhere Garantien für das Erreichen der Ziele mit sich bringt.
Analyse#
Ein Vorteil eines dezentralen Kapazitätsmarkts ist, dass die Entscheidung über die ausgeschriebenen Volumina von einem Betreiber getroffen wird, der näher am Kunden ist, was zu besseren Verbrauchsprognosen führen sollte. Ein weiterer Vorteil des dezentralen Beschaffungsmodells besteht darin, dass es Möglichkeiten für maßgeschneiderte und innovative Lösungen schafft, die bestimmten Betreibern zugutekommen können. Jedoch gibt es auch Nachteile: Dezentralisierte Beschaffung führt oft zu höherem bürokratischen Aufwand, da mehrere Betreiber beteiligt sind, und erhöhten Transaktionskosten aufgrund der verringerten Liquidität durch die Vielzahl kleinerer Beschaffungen von möglicherweise nicht standardisierten Produkten. Ein weiterer Nachteil des dezentralen Kapazitätsmarkts ist, dass er nicht garantieren kann, dass zentrale Planer ihre Ziele hinsichtlich der Ressourcensicherheit im Hinblick auf den Zuverlässigkeitsstandard erreichen. Zudem ist es nicht möglich, die Übertragungskapazität in einem dezentralen Kapazitätsmarkt zu verwalten.
Vorteile | Herausforderungen |
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Technologieneutral | Vergleichsweise hoher Aufwand für Marktteilnehmer |
Vom Strommarkt entkoppelt – keine Marktverzerrungen | Hohe Komplexität |
Einfach Einbindung dezentraler Flexibilitätsoptionen | Grenzüberschreitende Teilnahme nur durch „implizite Teilnahme“ über Netzkostenquoten möglich |
Einbindung dezentralen Wissens über Entwicklung der Nachfrage | Preisgestaltung von Kapazitätsgarantien kann kompliziert sein |
Überforderung kann tendenziell vermieden werden | Nicht klimaneutral |
Eher kurzfristig, daher sehr anpassungsfähig | Keine Investitionsanreize |
Beipiele (links)#
- Frankreich
- Kroatien
- Spanien